Geplündertes Griechenland

Acht Jahre Krise, acht Jahre angebliche Hilfe der EU haben ein Land geschaffen, in dem tiefe Hoffnungslosigkeit, Agonie, Verzweiflung und Zynismus herrschen.

René Zeyer

Es gibt eine gute Nachricht im Zusammenhang mit Griechenland: Deutschland hat fast 3 Milliarden Euro Zinsgewinne mit seinen Hilfszahlungen gemacht. Ist das zynisch? Nein, das ist schlimmer, nämlich menschenverachtend.

Natürlich sind die Griechen selbst dafür verantwortlich, dass sie sich in die Eurozone geschummelt und anschliessend befeuert von Niedrigzinsen Schulden wie wild gemacht haben. Aber ihr aktuelles Schicksal haben sie nicht verdient.

Insgesamt flossen seit 2010 Kredite in der Höhe von über 270 Milliarden Euro nach Griechenland. Genauer gesagt machten die meisten Milliarden auf dem Absatz kehrt und wurden für Schuldendienste verwendet. Nachdem nun die letzte Tranche von 15 Milliarden Anfang August ausbezahlt wird, kann Griechenland angeblich wieder auf den freien Finanzmarkt entlassen werden, um sich zu finanzieren. Allerdings steht das Land noch bis 2060 (das ist kein Tippfehler) unter Beobachtung und soll die nächsten 42 Jahre lang Primärüberschüsse erzielen, also die Staatseinnahmen vor Schuldendiensten sollen grösser sein als die Staatsausgaben.

Ist das vernünftig? Nein, das ist völlig absurd und wurde noch von keinem Staat der Neuzeit geschafft.

Brandschwarz gelogen

Damit Griechenland nicht sofort zusammenbricht, wenn es neues Geld auf den internationalen Finanzmärkten suchen muss, wurden gleichzeitig jahrelange Verzögerungen bei Rückzahlungen von Krediten und Zinszahlungen vereinbart. All dieses Gemurkse ist nötig, um vor allem Deutschlands Wunsch zu erfüllen, dass das Wort Schuldenschnitt im Zusammenhang mit Griechenland nie mehr verwendet werden darf. Denn die Regierung der Bundesrepublik hat ihren Steuerzahlern immer wieder versprochen, dass sie als wichtigste Gläubiger Griechenlands niemals zur Kasse gebeten werden.

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Ist dieses Versprechen glaubhaft? Nein, es ist brandschwarz gelogen.

Weder wird Griechenland bis 2060 Jahr um Jahr Primärüberschüsse erzielen, noch wird es seine Staatsschulden von rund 180 Prozent des BIP, das sind 350 Milliarden, ohne Schnitt jemals auf ein erträgliches Mass zurückführen.

Der EU-Währungskommissar Pierre Moscovici sagte nach dem Beschluss dieser angeblich letzten Finanzspritze: «Die griechische Krise ist heute Abend vorbei.» Der Finanzminister des Landes, Euklid Zakalotos, ergänzte: «Ich denke, dies ist das Ende der griechischen Krise.» Und der Ministerpräsident Alexis Tsipras zog sich demonstrativ wieder eine Krawatte an; er hatte versprochen, das zu tun, wenn die Krise vorbei sei. Alle drei Herren müssen allerdings aufpassen, dass sich ihre Krawatten nicht in Galgenstricke verwandeln, mit denen sie von der griechischen Bevölkerung aufgeknüpft werden.

Ist das übertrieben? Nein, diese Reaktion ist angesichts der wirklichen Lage in Griechenland durchaus denkbar.

Die griechischen Renten wurden Schritt für Schritt um bislang 60 Prozent gekürzt, die nächste Kürzung ab Januar 2019 ist beschlossen. Jede dritte Altersrente liegt bereits heute unter 500 Euro im Monat, bei durchaus mitteleuropäischen Lebenshaltungskosten. Ganz allgemein sind die Einkommen unter das Niveau von 2003 gefallen. Allerdings auch nur für die Griechen, die überhaupt eine Arbeitsstelle haben, die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei rund 20 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei über 45 Prozent. Nicht zuletzt deshalb sind bereits über 300 000 junge und qualifizierte Griechen ausgewandert. 40 Prozent aller Griechen können nicht rechtzeitig Miete und Rechnungen zahlen.

Das Gesundheitssystem ist in einem desolaten Zustand, mehr als 50 000 Griechen sollen in den letzten Jahren gestorben sein, weil sie sich eine medizinische Behandlung nicht leisten konnten. Drei von elf Millionen Griechen sind nicht mehr krankenversichert. Es ist üblich, wie in der Dritten Welt, dass Patienten Bettwäsche und Hygieneartikel ins Spital mitbringen müssen; ein Bakschisch hilft, eine Behandlung zu beschleunigen. Wenn die Apparate funktionieren und Medikamente vorhanden sind.

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Leises Stöhnen

Acht Jahre Krise, acht Jahre angebliche Hilfe der EU haben ein Land geschaffen, in dem tiefe Hoffnungslosigkeit, Agonie, Verzweiflung und Zynismus herrschen. Die europäische, auch die schweizerische Öffentlichkeit ist abgelenkt. Wahlen in der Türkei, das Wüten des US-amerikanischen Präsidenten, die Fussball-WM, die Tourismus-Kitschpostkartenidylle, die nichts mit der Realität zu tun hat. Was interessieren da die ewig gleichen Nachrichten aus Griechenland. Jubelschreie von Eurokraten und griechischen Politikern, leises Stöhnen und Seufzen der griechischen Bevölkerung.

Bislang hatte jede griechische Tragödie spätestens im Exodos ihr Ende, Zeit für Katharsis, also Sinneswandel und Reinigung. Den Griechen wird das fürs Jahr 2060 versprochen. Mehr als eine Generation später. Woher sollen die Griechen den Optimismus nehmen, dass jedermann sein kleines Glück erreichen kann? Ausbilden, arbeiten, Familie gründen, dafür sorgen, dass es die Kinder besser haben?

Man kann nur tiefen Respekt vor den Griechen bezeugen, die diese Folterqualen ohne Ende aushalten. (Basler Zeitung)

https://bazonline.ch/ausland/gepluendertes-griechenland/story/29494559